„Wir forschen auf Systemebene“

TH Lübeck: Ladeinfrastruktur zu Ende gedacht

Die Energiewende ist dezentral und findet in Verteilnetzen statt. Wie sich Lade-Infrastrukturen darin integrieren lassen, untersucht das „Fachgebiet für Elektromobilität und Leistungselektronik“ der TH Lübeck. Das Ergebnis: eine Schnellladesäule mit bis zu 1 MW Ladeleistung. Das ist anwendungsorientierte Forschung auf europaweit führendem Niveau. Sie gelingt durch Partnerschaften mit Industrieunternehmen wie EPLAN. Wir sprechen darüber mit Professor Roland Tiedemann und Clemens Kerssen.

Am Ende des Projekts steht also eine Ladesäule mit Ihrem Label? 

Tiedemann: Nicht unbedingt. Wichtig ist, dass wir möglichst orientierungsoffen ein Produkt für die bestehende Herausforderung haben. Lassen Sie uns das erstmal herausbringen und schauen, wie das Feld reagiert und wie es angenommen wird. Manche Energiekonzerne wollen flächendeckend Ladeinfrastruktur bereitstellen und die Fundamente sind quasi schon gegossen, aber Standortanalysen wurden nicht gemacht. Hier klafft eine Lücke.


Wer profitiert von Ihrem Wissensschatz?

Tiedemann: Wir befinden uns im Prototypenstatus und müssen nun Industriepartner finden, um das Produkt auf den Markt zu bringen. Mit den Erfahrungen daraus könnten wir wieder Fragestellungen optimieren und einen Entwicklungskreislauf schaffen von der Forschung über die Produktion zum Markt. Der Bereich der dezentralen Energieversorgung und der Ladetechnologie ist ein Riesenmarkt.

Bei der technischen Umsetzung haben Sie sich Unterstützung aus der Industrie geholt. Warum?

Kerssen: Wir arbeiten nicht im stillen Kämmerlein, sondern wollen eine technisch realisierbare, skalierbare Lösung entwickeln. Das ist die Brücke zu den Unternehmen EPLAN und Rittal. Unseren Prototypen konnten wir professionell mit standardisierten Komponenten aufbauen: Der Ladepunkt, das Bezahlsystem, die Energieverteilung und natürlich auch die NSHV sind in Gehäusesystemen und Komponenten von Rittal verbaut, und in den Software-Lösungen EPLAN Electric P8 beziehungsweise EPLAN Pro Panel konstruktiv aufgebaut. Zudem sind viele Komponenten, die für Ladeinfrastruktur eingesetzt werden, bereits im EPLAN Data Portal als Datensatz verfügbar. Wir können quasi Elektromobilität zu mehr als 80 Prozent mit Standardlösungen von EPLAN und Rittal abbilden.

Tiedemann: Diese Professionalisierung hilft auch unserer Forschung. Mit EPLAN kann ich als Professor den Studierenden auch unsere Hardware viel besser vermitteln, damit sie etwa lernen, wie ein Ladesystem oder ein Elektromotor aufgebaut ist. Das ist ein großer Schritt nach vorn.


Was ist nun das Neue an Ihrem Ansatz?

Tiedemann: Uns zeichnen einige Hauptschwerpunkte aus. Erstens versuchen wir, Forschung auf Systemebene ganzheitlich zu praktizieren. Im konkreten Fall also von der Energieerzeugung, über Wandlung, Transport, Speicherung, hin zum Verbrauch. Daraus resultierend ist uns ein großes Netzwerk aus Industrie, Partnern und Forschung wichtig. Wir wollen nicht irgendwas für die Schublade entwickeln, sondern reale Probleme lösen, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und unserem Partnernetzwerk. Sind die nötigen Komponenten nicht vorhanden, unterstützten uns unsere Partner aus der Grundlagenforschung.

Kerssen: Uns zeichnet auch aus, dass wir im Fachbereich dynamisch und alle auf Augenhöhe arbeiten: So setzt sich der beste Gedanke durch und nicht Rang oder Name. Es gibt viele, die erzählen, was man machen könnte, aber wir machen und können sagen: „Hier steht die Lösung.“

Vielen Dank für das Interview!